Grenzstreifung DDR (#3) – Klassenfahrt Teil II Ausflug nach Ost-Berlin

Der Tagesausflug nach Ost-Berlin stand an. Das war natürlich sehr aufregend. Die Warnungen unserer Eltern waren auch nicht einfach an uns abgeprallt und wir waren schon ein wenig besorgt. Wurde man tatsächlich sofort verhaftet, wenn man Anstecker oder, noch schlimmer, eine Tüte mit dem Aufdruck „Der Spiegel“ trug? Wir riskierten nichts und ließen Badges, alle irgendwie beschrifteten Tüten, PLO-Tücher sowie andere verfängliche Gegenstände vorsichtshalber im Hotel.

Wir fuhren mit der U-Bahn zum Bahnhof Friedrichstraße, in dem sich der Grenzübergang befand. Dass wir die U-Bahn, nicht die S-Bahn nahmen hatte einen praktischen Grund. Eine unserer Mitschülerinnen hatte keine deutsche Staatsbürgerschaft und musste deswegen zum Checkpoint Charlie. Unsere Mitschülerin stieg an der der Kochstraße aus und ging von dort aus die Friedrichstraße entlang zum Grenzübergang, während wir anderen noch ein paar Stationen weiter zum Bahnhof Friedrichstraße fahren mussten.

Es gibt da übrigens widersprüchliche Aussagen, was den Bahnhof Friedrichstraße betrifft. Manchmal lese ich, dass der Grenzübergang auch von Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft genutzt werden konnte, dann wieder, dass diese Personen ausschließlich am Checkpoint Charlie in die DDR einreisen durften.

Wie dem auch sei, in den späten 70ern ging das nur über den Checkpoint Charlie*.

Vielleicht ist auch nicht allen bekannt (oder man hat’s mit dem Alter vergessen <g>), dass der Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin lag. Er wurde aber trotzdem mit Zug und U-Bahn aus dem Westen angefahren. Der Ost-Berliner Teil des Bahnhofs war durch eine Glaswand bzw. später eine Metallwand vom Westteil getrennt. An die Glaswand kann ich mich nur ganz undeutlich erinnern. Aber diese undurchsichtige Wand passte sich in den Bahnhof ein und fiel nicht so auf wie später die Metallwand.

Wenn man mit der U-Bahn fuhr waren zwischen Westteil und Friedrichstraße auch ein paar U-Bahnhöfe im Ostteil Berlins. Diese waren verschlossen; oberirdisch zugemauert und unterirdisch bewacht. Wenn man auf den entsprechenden U-Bahnlinien unterwegs war, kam an der letzten Station im Westen eine Durchsage, im Falle der U6 mit der wir unterwegs waren: „Kochstraße, letzter Bahnhof in Berlin-West“, da konnte sich dann jeder, der da nicht entlang fahren wollte aus der Bahn schwingen und für alle anderen ging’s weiter. Die U-Bahn fuhr dann an den verlassenen, schwach beleuchteten Stationen vorbei. Es war immer ein bisschen gruselig, so dass die Bezeichnung „Geisterbahnhof“ wirklich hervorragend passte.

Auf youtube hat jemand ein Video von so einer Fahrt eingestellt. Leider ohne die tolle Ankündigung vorneweg:

Nach ein paar Stationen hielt die U-Bahn im Bahnhof Friedrichstraße und wir stiegen aus. Der Bahnhof war ein einziges Labyrinth, noch dazu auf mehreren Etagen. Ich weiß nur, dass wir da endlose Gänge entlang liefen bis wir bei der Passkontrolle landeten.

Die Dame am Schalter war kurz angebunden und guckte so oft zwischen Passbild und meinem Gesicht hin und her, dass ich mich schon fragte, ob mir eine zweite Nase gewachsen war. Da war auch ein Schild, das anzeigte, wo man hin musste, wenn sie einen durchsuchen wollten. Ich war echt eingeschüchtert vom Ambiente des Bahnhofs und dem Gebaren der dort Beschäftigten.

Nach der Passkontrolle musste man Geld umtauschen. Ich gab mein Geld ab und kriegte die gleiche Summe in Ostmark in einer durchsichtigen Plastiktüte zurück. Ich meine ja, es waren 10 DM, obwohl ich an verschiedenen Stellen gelesen habe, dass zu der Zeit der Mindestumtausch bei 6,50 DM lag. Im Prinzip ist das auch egal, für mich als Schülerin war das so oder so kein Pappenstiel.

Draußen vor dem Bahnhof trudelten wir dann alle nach und nach ein. Als wir vollständig waren liefen wir zunächst Richtung „Unter den Linden“, wo wir unsere ausländische Mitschülerin wieder trafen. Wir durften einen Blick die Allee hinunter zum Brandenburger Tor werfen und gingen dann in die entgegengesetzte Richtung. Das fand ich doof. Ich hätte das Tor gerne mal von vorne gesehen.

Wir durften kurz die Wachposten vor dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus (Neue Wache) bestaunen. Danach mussten durften wir ins Pergamon-Museum. Okay, das Wetter war nicht so doll, unser Lehrer unterrichtete u.a. Geschichte und das Pergamon war berühmt, aber in meinen Augen war das die blödsinnigste Aktion aller Zeiten. Wir waren nach Ost-Berlin gefahren, hatten die Möglichkeit den anderen Teil der Stadt zu besichtigen und gingen in ein Museum.

Der Aufenthalt ebendort schien auch ewig zu dauern, weil unser Lehrer stundenlang über Ausstellungstücke schwadronierte, die außer ihn keinen Menschen zu interessieren schienen. Ich meine, nicht mal die Streber, die immer noch eine intelligente Frage stellen müssen, damit sie bemerkt werden, damit der Lehrer sieht, dass sie mitdenken usw., selbst diese Arschkriecher hielten ausnahmsweise mal die Klappe.

Die ganze Museumsführung ging mir dann auch komplett zum einen Ohr rein und zum andern wieder raus. Ich weiß aus Büchern (!), was im Pergamon-Museum zu besichtigen ist, aber ich habe nicht mal den Hauch einer Erinnerung daran, diese Exponate tatsächlich einmal gesehen zu haben.

Irgendwann waren wir dann durch und durften raus. Es ging im Eilschritt runter von der Museumsinsel, so nach dem Motto „Hier der Dom, da der Palast der Republik“, keine weitere Erklärung, nur noch nix wie weg. Wir gingen zum Alexanderplatz und durften uns dann (endlich) eine Weile in kleinen Gruppen, unbeaufsichtigt von den Lehrern die Zeit vertreiben. Die meisten fuhren auf den Fernsehturm, was sich bei dem mistigen Wetter** bestimmt sehr gelohnt hat.

Ich war mit drei Leuten unterwegs und wir gingen erst einmal essen. Wo wir gegessen haben, weiß ich nicht mehr. Alles in dem Laden schien aus Resopal zu bestehen und es war da drin so gemütlich wie in einer Werkskantine. Was ich gegessen habe, weiß ich auch nicht mehr, aber über die Orangenbrause, die ich dazu bestellt hatte, kann ich das leider nicht sagen. Die schmeckte wirklich dermaßen grauenhaft, dass ich mich an den Geschmack heute noch deutlich erinnern kann. Das Zeugs schmeckte in etwa so wie billiges Spülmittel riecht.

Das soll jetzt nicht heißen, dass es sowas Scheußliches exklusiv im Osten gab. Im Westen gab es ein sogenanntes Fruchtsaftgetränk [sprich: gelb gefärbtes Wasser, an dem mal ein Stück Obst vorbeigeflogen ist], das schmeckte genauso. Eigentlich war das geschmacklich sogar noch fieser, weil keine Kohlensäure drin war. Bei dem Westgesöff war man aber vorgewarnt. Das sah schon aus als hätte einem jemand ins Glas gepinkelt, während die DDR Limo als lecker Brause getarnt war.

Nach diesem Geschmacksereignis liefen wir ein bisschen in der Gegend herum. Wo genau wir unterwegs waren, weiß ich nicht, aber je weiter wir uns vom Alexanderplatz entfernten, desto maroder sahen die Häuser aus. Wir wollten uns auch nicht ganz so weit entfernen, da keine von uns einen Stadtplan hatte und die Vorstellung hier „im Feindesland“ verloren zu gehen, ließ uns gruseln. Stattdessen gingen wir zurück und sahen uns die Sehenswürdigkeiten am und um den Alexanderplatz an. Dabei entdeckten wir das Centrum Kaufhaus und witterten die Chance den Rest des zwangsumgetauschten Geldes quitt zu werden.

Als wir aus der Buchabteilung kamen, rannten wir prompt der Lehrerin in die Arme, die meinte „Ihr wisst schon, dass das alles ideologisch gefärbt ist?“. Heute fallen mir spontan gleich mehrere sarkastische Antworten auf diese rhetorische Frage ein, aber damals hielten wir natürlich die Klappe und guckten unschuldig, zumal ein Mädchen aus unserer Gruppe und ich sowieso schon wegen der Aktion mit der Besucherplattform angezählt waren.

Ich habe letztendlich ein paar Postkarten und ein Fläschchen Ausziehtusche gekauft. Den Rest des Geldes haben wir Jugendlichen gegeben, die in der Nähe des Grenzübergangs herumliefen.

Zur Ausreise ging es durch den Tränenpalast. Da war dann die Zollkontrolle und eine Passkontrolle, wo sie einem das Visum, das man bekommen hatte, wieder abnahmen. Danach ging es durch irgendeine Tür wieder in dieses Labyrinth von Bahnhof und runter zur U-Bahn. Es stiegen einige Leute ein, die Tüten mit Schnapsflaschen und Zigarettenstangen bei sich hatten. Wir guckten wohl doof und die Lehrer erklärten uns leise, dass die sich verbotenerweise im Intershop günstig mit Schnaps und Zigaretten eingedeckt hatten. Wenn sie der Zoll erwischte, hätten sie mächtig Ärger. (Betonung auf natürlich auf „verbotenerweise“ und „mächtig Ärger“, damit wir gar nicht erst auf blöde Gedanken kamen.) Die Leute, die mit uns an Bord waren, hatten Glück, es wurde nicht kontrolliert.

Nachdem wir den ganzen Tag herumgelaufen waren, waren alle erschöpft und froh als wir endlich wieder im Hotel ankamen.

* In den späten 70ern hatte der Checkpoint Charlie übrigens nur entfernte Ähnlichkeit mit der gleichnamigen Touristenattraktion, die man heute an gleicher Stelle findet. Man muss sich die Souvenirhändler, die Cafés, die Werbetafeln, den Trubel, die Touristen und die in Uniform posierenden Studenten wegdenken. Die Fassaden der Häuser entlang der Friedrichstraße waren grau und sahen renovierungsbedürftig aus.
Das Häuschen mit den Sandsäcken davor, das dort jetzt steht, ist ein Nachbau des ersten Kontrollhäuschens aus den frühen 60ern. In den späten 70ern stand da ein rechteckiger Kasten mit Glastür ohne Sandsäcke. Ein Schild mit der Information, dass man den amerikanischen Sektor verlässt stand auch ungefähr da, wo heute das nachgemachte Schild steht.
Dahinter, ein Stück die Straße hinunter war dann die Mauer und ein Schlagbaum. Der Übergang wurde mit den Jahren auf der Ostseite immer weiter ausgebaut, so dass das irgendwann richtig nach Grenzübergang aussah mit mehreren Spuren für Kraftfahrzeuge usw.. Im Westen stand immer nur eine kleine, hässliche Butze.

**Das Wetter ist übrigens nicht nur in meiner Erinnerung extrem scheußlich. Ich war neugierig, ob ich das nach der langen Zeit verzerrt wahrnehme und habe nach alten Wetterdaten gesucht: „Im Herbst 1978 herrschte häufig ungewöhnlich trübes Wetter. Die Sonnenscheindauer erreichte mit 3219 Stunden den niedrigsten Wert in den 28 Jahren, im Mittel gibt es in den drei Monaten 100 Stunden mehr Sonne.“
(Quelle: http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt01/0106doka.htm)

4 Responses to Grenzstreifung DDR (#3) – Klassenfahrt Teil II Ausflug nach Ost-Berlin

  1. schattenzwerg says:

    wow … du hast dir richtig arbeit mit deinem bericht gemacht, tolle erinnerungen und so detailverliebt 🙂

    aber hallo, unsere brause war total suuuuper, allerdings vielleicht war die berliner limo einfach nur scheisse *g

    • So ist das mit der Erinnerung im Alter, Herr Schattenzwerg – da sind Dinge, die vor vielen, vielen Jahren geschahen irgendwie präsenter als das, was gerade erst passiert ist. 😉
      Die Grenzkontrollen am Bahnhof Friedrichstraße erinnere ich allerdings auch deshalb deutlicher, weil ich da später noch öfters über die Grenze bin.
      Ich mochte immer die Himbeerbrause und Vita Cola 😀

  2. Blinkfeuer says:

    Das ist hart, das mit dem Wetter, denn:

    „Mit mehr als 250 Sonnentagen und über 2.500 Sonnenstunden pro Jahr ist Dubrovnik besonders sonnenverwöhnt !“

    Die verlinkte Seite ist leider eher unlesbar. 😦
    Daher kommt wohl auch Deine Zahl? 😀

    Fachfrage: Wenn aber in der üblen Brause ein hochdotierter „Begleiter“ der löslichen Art sich tummelte, ja dann war alles…..?

    • Hallo Blinkfeuer, ja, die Seite ist gut, wenn du etwas ganz Bestimmtes suchst, ansonsten etwas unübersichtlich. Aber ich wollte angeben, woher die Info stammt. Wie auch immer – Wetter war shice.

      In der Brause war allerhöchstens „Geschmacksrichtung: „Klostein Zitrone“ als Begleiter dabei. Ich habe das Zeug nicht austrinken können. Das ist ja nicht Sinn der Sache, wenn an jemand was ins Getränk rührt. 😀

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